Geschichte des Stiftes
(c) Dr. Erwin Isenberg, März 2001-03
Mit über 300 Jahren kann die Orgel in der Stiftskirche zu Keppel den ältesten Prospekt des Siegerlandes aufweisen. Was die Mechanik und das Pfeifenwerk anbetrifft,
so ist im Laufe der Zeit vieles verändert worden. In den letzten hundert Jahren ist durch wiederholte Eingriffe die originale Substanz des Spielwerks gänzlich abhanden
gekommen.
1999 ist die Stiftsorgel nochmals, und zwar von Grund auf erneuert worden. Den Auftrag zum Neubau erhielt der Siegerländer Orgelbaumeister Hans Peter Mebold aus
Breitenbach. Die Einweihung der neuen „alten Orgel“ konnte im Herbst dieses Jahres vorgenommen werden.
Von der historischen Orgel ist einzig der barocke Prospekt übrig geblieben. Konstruktives Kennzeichen der Stiftsorgel ist eine dreiteilige Pfeifenfront, wobei das zentrale
Pfeifenfeld gegenüber den seitlichen Flachfeldern als polygonaler Mittelturm herauskragt. Die Rundlabien der Prospektpfeifen sind in allen drei Feldern bogenförmig
angeordnet. Oberseits werden die Pfeifenenden mit geschnitzten, mittig gerafften Schleiern in durchbrochenem Rollfeder-Dekor überdeckt. Die Kassettenfüllungen des
Untergehäuses und der Eckpilaster der Pfeifenfront sind mit Leisten eines charakteristischen Well- bzw. Flammprofils umsäumt. Diese zieren auch Sockel- und
Abschlussgesims des Orgelprospekts.
Auffällig die mächtigen, beide Seiten des Prospekts flankierenden, abwärts und nach innen gerollten Voluten mit Knorpelskulptur. Oberseits aufsitzend und
unterhalb stützend sind jeweils kleinere, auswärts geöffnete Voluten angefügt. In gleicher Art wird auch der überstehende Teil des Mittelturms flankiert.
Die Krönung auf dem Mittelturm ist mit einem Wappenschild besetzt, das die adelige Familie von der Hees kennzeichnet. Charakteristika der Blasonierung sind zwei
Mühleisen im Schildhaupt und ein Querbalken an der Balkenstelle des Schildes, jeweils in Weiß (Silber entsprechend) auf rotem Hintergrund. Als Hinweis auf die
Zugehörigkeit zur Ritterschaft ist über dem Schild ein Helm mit Spangenvisier aufgesetzt. Die Helmdecke wallt als üppiges Rollfedern-Gehänge herab.
In der Helmzier befindet sich zwischen Büffelhörnern nochmals das Wappenschild derer von Hees.
Auf dem Schildsockel ist die Inschrift zu lesen:
„mit mir ihr volckr all singt dem hern
vnter trompeten vndt orgel schal“.
Das leicht abgewandelte Zitat aus dem 150. Psalm - worin allerdings eine Orgel noch nicht namentlich aufgeführt wird - ist nicht nur als Ausdruck einer
frommen Widmung zu verstehen, sondern auch als Hinweis auf die biblische Legitimation der Orgel im kirchlichen Raum, deren gottesdienstliche Verwendung Ende
des 17. Jahrhunderts durchaus noch nicht selbstverständlich war. Als 1686 im benachbarten Hilchenbach die reformierte Kirchengemeinde in ihrer Stadtkirche eine Orgel
aufstellen ließ, war ein fast zehn Jahre währender Orgelstreit vorausgegangen, zu dem selbst die Theologen der Hohen Schule zu Herborn in einer Polemica ob des
unbiblischen Charakters des Instruments bemüht wurden und dieses gar als „eine aus dem päpstlichen Wesen stammende unfruchtbare und verschwenderische
Erfindung“ geißelten.
Im freiweltlichen Damenstift Keppel, wo zu jener Zeit die Simultanverfassung den Wechsel einer reformierten und katholischen Äbtissin in der Amtsfolge vorschrieb, löste
sich das Problem mit der 1692 anstehenden Neuwahl. Die katholische Äbtissin Anna Elisabeth von der Hees stiftete kurzerhand aus eigenen Mitteln (ausweislich der
hinzugesetzten Inschrift unter der Wappenkrönung: „anna elisabet von vndt zvr hees / me fere propris svmtibvs fieri fecit“) eine Orgel für die Stiftskirche.
Anna Elisabeth von und zur Hees (geb. 1637 als Tochter des Johann Gottfried von der Hees und der Anna Elisabeth Sabine Kettig von Bassenheim) war 1655 auf die Stelle
einer reformierten Stiftsdame in den Konvent aufgenommen worden. Erst 1666 trat sie im Zuge der Gegenreformation zur katholischen Konfession über. In der wenige
Jahre nach ihrem Tod († 1717) von ihrem Neffen Philip Ludolf Wilhelm von der Hees verfassten „Chronick des Stiffts Keppeln im Fürstentum Nassau-Siegen“
bestätigt dieser im beigefügten „Catalogus Magistrarum, Dominarum, Abbatissarum, Priorissarum nec non Conventualium et Capitularium Keppelensium“,
dass Elisabeth von und zu der Hees in den 25 Jahren als Stiftsäbtissin „die ganze Kirche sambt der abtey, wie auch den altar und die Canzel“ habe „renoviren und
illuminieren“, wie auch „1701 eine Orgel aus ihren eygenen Mitteln“ errichten lassen.
Für das Altar-Retabel mag 1701 die zutreffende Datierung sein. Die Orgel dürfte dagegen schon wenige Jahre nach ihrer Wahl zur Stiftsäbtissin in Auftrag
gegeben worden sein. Denn folgt man einem Einlegezettel, der ursprünglich in der Windlade deponiert war, vom damaligen Orgelbauer nach eigener, demutsvoller
Bekundung „mit sünder hant geschrirben“, so erfahren wir, dass „Jm nahmen der aller heiligesten Dreifaltigkeit; Und Jm nahmen Jesu Maria S: Anna vnd S: Joannes […]
die hoch adliche vn wol gebohrne Anna Elisabeth von vnd zu der Heis dieses stiftz Keppel Abdissin Jn Anno 1695 diese Orgel [hat] machen Lassen, alles zu der höchsten
Ehren vnd Lob Gottes“, unter geflissentlicher Hinzufügung: „der Meister hat geheissen Joannes Sommer von Brilon Bürtig“.
Ein Orgelbaumeister dieses Namens ist - zumindest was die bekannten Werkstätten historischer Orgeln Westfalens anbetrifft - ein unbeschriebenes Blatt.
Offensichtlich hat Johannes Sommer mit einem Schreiner aus Wenden zusammengearbeitet. Bei der jÜngsten Renovierung und hierzu notwendigen Demontierung des
Prospekts entdeckte Orgelbaumeister Hans Peter Mebold in der Konsole des Mittelturms die Kreideaufschrift: „Johannaß Viegener [aus Wen]den“.
Über die ursprüngliche Disposition der Orgel in der Stiftskirche wissen wir wenig. Da die Arbeit des Orgelbauers nicht aus Mitteln der Stiftskasse entlohnt worden ist, vielmehr aus der Privatschatulle der damals amtierenden Äbtissin, finden wir heute in den Rechnungsunterlagen des Stifts keinerlei Kostenangaben oder gar Voranschläge mit Hinweisen zur Größenordnung und Disposition des Orgelwerks.
Möglicherweise kann man aus einem späteren, am 23. September 1777 von Johannes Thies aus Amöneburg abgegebenen Reparatur- und Umbauvorschlag für die Keppeler Stiftsorgel Rückschlüsse auf die Dimensionen des Instruments ziehen. In dem Gutachten gibt besagter Johannes Thies an, die Orgel sei „in sehr schlechten Umständen“ und „mit einer kurzen Octav versehen“. Sie enthalte „fünf schlechte und geringe Register“. Was die Bezeichnung „kurze Octav“ anbetrifft, so werden in der großen Oktave die Halbtöne Cis, Dis, Fis und Gis gefehlt haben und die Tastenfolge entsprechend anders als üblich angeordnet gewesen sein. Die Anzahl von fünf Registern, die der Gutachter zudem als „schlecht“ und „gering“ bewertete, sprechen für eine relativ kleine Orgel. Andererseits ist das Gehäuse, das ja heute noch in seinen Ausmaßen zu rekonstruieren ist, durchaus so geräumig ausgelegt, dass auch eine größere Anzahl von Registern Platz gefunden hätte.
Für eine ausreichende Kapazität spricht auch der Vorschlag des Johannes Thies, zwei neue Register einzubauen, die sowohl im Manual wie im Pedal brauchbar sein sollten: „Principal Baß 8 Fuß“ und „Posaun Baß 8 Fuß“. Thies scheint allerdings mit seinem Angebot nicht zum Zuge gekommen zu sein. Im Stiftsarchiv ist unter Position 46 für das Rechnungsjahr 1777 vermerkt: „Nachdeme berichteter maßen, die von Fürstlicher Landes Regierung genehmigte Reparatur der Kirchen Orgel zu Keppel von dem Orgelmacher Arnold Boos zu Niederndorf accordirter maßen vorgenommen und seine Arbeit gut befunden worden: sind dem Stifts Rentmeister Kohl hiermit aufgegeben, dem ermeldten Boos die vermög Anlage accordirte 36 Rthl im 24 fl. Fuß, gegen Quittung auszuzahlen und seine Rechnung damit zu belegen. Siegen, den 26. Nov. 1777, Fürstl. Unter-Directorium [...] v. Schenck.“
Arnold Boos hatte zuvor am 24. Sept. 1777 geschrieben: „Nach dem ich zu Keppel Kirchen Orgel in Augenschein genommen, so habe gefunden, das das leder so wohl an denen Bälgen sehr zerrissen und gar nicht wind haltend, sondern auch das ganze pfeiffen werck in schlechten Zustand sich befinden solchem nach bloßer dings die Reparatur vorzunehmen, und diese orgel in brauchbaren zu Stand zu stellen, mit allem zu behör an leder leim und was sonsten noch dar zu komt geringer nicht als 36 rthl. zur Reparatur übernehmen und accordiren kan.“
Ein Hinweis aus dem 19. Jahrhundert, als man 1839 das Ansinnen zur Orgelreparatur an die Preußische Regierung in Arnsberg bzw. die Stiftsverwaltung richtete, erinnert daran, dass »die [seinerzeit] in 24 Jahren ungebrauchte Orgel sehr in Verfall und ihrem jetzigen Zustande nicht mehr zu benutzen« sei.
Was die Winderzeugung anbetraf, so lässt sich ein knapper Hinweis aus einer Inventarisation von 1811 verwerten. Dort heißt es: „[...] einfache Orgel mit zwei Blasebälgen, die mit Seilen gezogen werden“. In Besoldungsnachweisungen aus dem Jahre 1821 wird neben dem Organisten stets die Entlohnung für das „Ziehen der Orgelbälge“ ausgewiesen. Im Lagerbuch der katholischen Missionspfarrei Keppel, der man damals „vergönnungsweise und jederzeit widerruflich“ die Nutzung der Stiftskirche und der Orgel für ihren Gottesdienst eingeräumt hatte, wird für 1866 allerdings ausdrücklich erwähnt, dass nunmehr „die Bälge ohne Seile“ seien.
Zu dieser Zeit wird auch in einem vom Missionspfarrer Mönnichs an das Generalvikariat in Paderborn und den Bonifatiusverein adressierten Bericht hinsichtlich der stiftischen Kirchenverhältnisse mitgeteilt, dass die Orgel „fünf Register mit scharfen Stimmen“ habe. Möglicherweise ist es bis zu ihrem Umbau 1892 auch so geblieben. So schrieb der Kgl. Baurath Haege in Siegen noch am 23. Juli 1889: „Bei der Revision der Orgel traf ich den katholischen Geistlichen, Herrn BÜscher, der ja auch an der Sache [...] interessiert ist. Er hat mir den Kostenvoranschlag des Orgelbauers [Adolf] Fischer zu Hirschberg [in Westfalen] aus dem Jahre 1884 Übergeben.“ Fischer verlangte nur 1090 Mark im Ganzen. Dazu wollte er „fÜnf alte Register verwerten und zwei neue machen“.
Man kann sicherlich davon ausgehen, dass im Zusammenhang mit dem Bau der ersten Orgel auch die hölzerne Empore vor dem Westbau und entlang der Südseite des Langhauses der Stiftskirche errichtet worden ist. Unverkennbar bilden Emporenbrüstung und das Untergehäuse des Orgelprospekts eine stilistische Einheit, was für die Gleichzeitigkeit der Entstehung spricht. Für eine vorzeitige Errichtung der Empore nur zum Zwecke der Sitzplatzvermehrung bestand jedenfalls im 17. Jahrhundert kein Bedarf. Angesichts der Exklusivität des freiweltlichen Fräuleinstifts Keppel wurden statutengemäß höchstens acht adlige Fräulein aufgenommen. Als Simultan-Einrichtung stand die Kirche zwar den reformierten und katholischen Konventsdamen gemeinsam zur Verfügung, tatsächlich nutzten sie das Gotteshaus aber nach Tageszeiten getrennt. Die (vier) Evangelischen hatten ihren Gottesdienst vom frühen Morgen bis 9 Uhr, danach die (vier) Katholischen bis 12 Uhr, sodann nachmittags bis 15 Uhr wiederum die Evangelischen und bis zur Nacht die Katholischen. Als Eigenkirche war sie keiner größeren Gemeindeöffentlichkeit verpflichtet.
Ebensowenig wird die Empore später als die Orgel errichtet worden sein, war sie doch für diese als Orgelbühne unverzichtbar. Unten in der Stiftskirche hätte das Instrument keinen Platz gefunden, und alternativ auf dem Nonnenchor im Westbau, der sog. Nonnenempore, wäre die Orgel akustisch ungünstig, geradezu abseitig platziert gewesen.
Der bereits zitierten Stiftschronik ist zu entnehmen, dass eine alte Schnitzfigur „annoch auf dem Chor zu Keppel an einem Kirchenpfeiler nechst bey der Orgel in einem besonderen
Repositorio“ aufbewahrt werde. Die Chronik ist 1720 verfasst worden. Das Repositorio - gemeint ist der alte Andachtsaltar aus der Klosterzeit - befand sich noch im 19. Jahrhundert im
Westbau der Stiftskirche. Dieser „uhralte Closter-Jungfrauen Altar“ stand zwischen den beiden spitzbogigen Oratorienfenstern, durch die man von dem Nonnenchor in die Kirche
hinunterschaute. Dahinter auf der anderen Seite - nächst dem „mittlersten Pfeiler“ wie an anderer Stelle der Chronik präzisiert wird -, also zwischen den beiden Spitzbogen
auf der zum Kirchenschiff zugewandten Seite, muss man sich demnach den Standort der Orgel vorstellen. Die Aufrichtung an dieser Stelle wäre ohne den Unterbau einer
Orgelbühne nicht möglich gewesen.
Entgegen dieser als mittig überlieferten Platzierung präsentierte sich in den letzten hundert Jahren die Stiftsorgel in einer asymmetrischen Aufstellung, ganz unpassend zur barocken Konzeption.
1892, als der Orgelbauer Oskar Ladegast aus Weißenfels den Neubau der Keppeler Orgel vornahm, hatte er den historischen Prospekt, offenbar in Anerkennung seines hohen Denkmalwertes, übernommen. Er fügte den Prospekt in den rechten bzw. nördlichen Spitzbogen des Nonnenchors ein. Das von ihm gänzlich neu geschaffene und erheblich erweiterte Spielwerk erhielt dadurch genügend Platz, zumal der Raum des dahinter liegenden Westbaus einbezogen werden konnte. Dessen vierjochige und sehr ursprünglich anmutende Gewölbehalle wurde allerdings durch das einragende „Orgelzimmer“ nicht nur um ein Viertel Raumanteil eingeschränkt, sondern auch durch den ungefügen Einbau in die Gewölbekonstruktion nachhaltig verschandelt.
Zu einem negativen Urteil kommt auch der Orgelbaumeister Paul Faust, der im Vorfeld zu einem neuerlich anstehenden Neubau der Stiftsorgel, die 1929 durch die Fa. Furtwängler & Hammer ausgeführt wurde, in seinem Gutachten schrieb: „Abgesehen davon, daß [zu jener Zeit, 1892] die Pneumatic noch in den Kinderschuhen steckte und man keine großen Ansprüche an die Zuverlässigkeit derselben stellen durfte, ist dieses Werk doch besonders primitiv gebaut. Es kommt noch hinzu, daß die Orgel früher ausserhalb des Raumes stand, in welchem sie jetzt untergebracht ist. Der Orgelbauer hätte wissen müssen, daß man ein Orgelwerk, welches für einen bestimmten Raum gebaut bist, nicht so ohne Weiteres in einen anderen Raum überführen kann, namentlich wenn es so gemacht wird, wie im vorliegenden Falle. - Die großen Pfeifen verschließen die Maueröffnung und der Ton der teilweise dahinter stehenden Pfeifen kommt gar nicht zur Entwicklung.“
Ungeachtet dieser Einschätzung behielt man aber das Orgelzimmer und die seitliche Platzierung - weniger aus Bequemlichkeit, als vielmehr aus Gründen der erheblichen Mehrkosten bei einem Rückbau auf die ursprüngliche Anordnung - weiterhin bei, auch nochmals 1958, als die Orgel wiederum saniert werden musste. Die ausführende Firma war zu dieser Zeit Fa. E. Kemper & Sohn, Lübeck.
Hinweise auf die anfänglich konzipierte Platzierung des Orgelgehäuses in Verbindung mit der Emporenbrüstung gab es mehrere. So fand sich in den Stiftsakten eine Handskizze aus dem Jahr 1849, die den ursprünglichen Standort der Orgel am mittleren Pfeiler zwischen den spitzbogigen Fenstern des Nonnenchors belegt. Ebenso eindeutig ist zu erkennen, dass dieserzeit das Orgelgehäuse in die Brüstung der vorgebauten Empore integriert war. Exakt an der Stelle, wo Ende des 19. Jahrhunderts die Brüstung in diesem Abschnitt nach der Verlegung der Orgel ergänzt werden musste, fand man noch bis vor kurzem Einschnittspuren. Nicht nur deren Abstand über drei Brüstungsfelder entsprach den Ausmessungen des Untergehäuses, auch die unter diesem Emporenabschnitt postierten Säulen stimmen genau in ihrer Abstandsweite mit dem Orgelgehäuse überein.
Merkwürdig war auch immer schon ein ovaler Ausschnitt hinter dem Notenpult, der bislang mit einem kleinen Brett hinterlegt war. Die Existenz dieses Ausschnitts bekommt erst einen Sinn, wenn man sich vorstellt, dass ursprünglich der Organist an einem Spieltisch hinter der Brüstungsorgel gesessen hat und so auf diese Weise durch ein Guckloch bzw. Fenster das Geschehen im Altarbereich verfolgen konnte.
Eine Jahrhundertchance, wenn nunmehr, 1999, d.h. 107 Jahre nach Ladegast, mit dem grundlegenden Neubau der Stiftsorgel durch die Orgelbauwerkstatt Mebold die ursprüngliche mittige Anordnung der ehemals hinterspieligen Brüstungsorgel wieder hergestellt werden konnte.
Zunächst wurde Mitte Juli dieses Jahres der bisherige Orgeltisch und das gesamte Pfeifenwerk entfernt und nachfolgend der nördliche, bislang für den Orgeleinbau rechteckig ausgehauene Durchbruch zum Nonnenchor als Spitzbogen wieder hergerichtet. Dazu erhielten beide Spitzbögen doppelflügelige Gittertüren, klösterlichen Oratoriengittern nachempfunden. Sie akzentuieren nicht nur den klostertypischen Charakter der Keppeler Stiftskirche, indem die Existenz des im dahinterliegenden Westbau befindlichen Nonnenchors wieder in den Blick gerückt wird, sondern verstärken auch die wiedergewonnene barocke Symmetrie. Durch die Türen des südseitigen Spitzbogens wird - wie bisher - der Zugang zur Orgelbühne gewährt. Hinter dem Gitter des Bogens an der Nordseite ist die Winderzeugung und das Pedalwerk untergebracht, optisch verborgen, ohne aber akustisch abgeschirmt zu sein.
Die neue Orgel mit dem alten Prospekt, bereits in der Werkstatt vormontiert und vorintoniert, wurde Anfang August in die Brüstungsmitte eingebaut. Nach der Wiederherstellung der farblichen Fassung des Prospekts und der Bemalung der ergänzten Gehäuseteile durch den Restaurator Rademacher, konnten im September die Pfeifen vom Orgelbaumeister eingesetzt werden. Daraufhin wurde die Intonation vorgenommen.
Man kann mit Recht sagen, dass die neue Orgel viel mehr an Authentiztät des Alten gewonnen hat als die Vorgängerversionen, wenn sie auch nicht in allen Teilen, v. a. was die Disposition anbetrifft, als exakte historische Rekonstruktion zu betrachten ist. Hierzu fehlten detailierte Kenntnisse der ursprünglichen Disposition. Zur Konzeption schreibt Orgelbaumeister Hans Peter Mebold selbst: „Die Klanggestalt der Orgel wurde im Gegensatz zu dem streng rekonstruierten Gehäuse nur in zwei wesentlichen Punkten am Vorbild orientiert: Die Disposition ist einmanualig und basiert auf dem Prinzipal 4’, davon stehen 27 Pfeifen sichtbar und klingend im Prospekt. Zum anderen ist die Mensur entsprechend dem im Gehäuse zur Verfügung stehenden Platz weit genommen (83/51, 5/31,5/19,5/12,6 mm). Sonst ist die Disposition neu geplant:
Acht Register im Manual, dem alten Gehäuse, wo früher nur fünf Register standen. Es ist aber so geräumig, dass jetzt ein Prinzipal 8’ ab A mit auf der Lade innen stehen kann. Dazu drei Register im Pedal, außerhalb des Gehäuses im nördlichen Mauerbogen eingebaut. Die alte Orgel hatte gar kein Pedal oder nur ein paar angehängte Tasten.
Die 11 Register sind im rückseitigen Spieltisch der Orgel so angebracht, dass sinnvolle Gruppen entstehen: Links von der Orgel die vier Prinzipalregister 8’, 4’ 2’, Mixtur 4f - „das Plenum“ - darunter die drei Pedalregister (Bassregister) Subbass 16’, Octavbass 8’, Posaune 8’, ganz unten der Tremulant, der als Kanaltremulant gebaut ist. Rechts der Klaviatur, jeweils als Bass-/Diskantzug übereinander, die Register Gedackt 8’, Spitzflöte 4’, Nasat 2/’, Terz 1/’, diese bilden das „Cornett“. Die Pedalkoppel ist als Fußtritt angebracht. Die Orgel hat insgesamt 697 Pfeifen, davon 86 aus Holz, die anderen aus Metall in Legierungen von 40 % bzw. 70 % Zinn/Blei.
Der Wind wird von einem Ventilator erzeugt, dann in einem Keilbalg reguliert und über Holzkanäle zu den Laden geführt. Diese sogenannte offene Windanlage gibt der Orgel einen konstanten, weichen, leicht flexiblen Wind, womit dem Spieler ein zusätzliches Artikulationsmittel an die Hand gegeben ist.
Die Technik der Orgel ist traditionell mechanisch und in der bewährten einfachen Konstruktion wie z.B. mit einarmigen Tasten, Holzwellenbrett, angeleimten Ventile, Lederpulpeten etc. ausgeführt.“
Die offizielle Einweihung der neuen „alten Stiftsorgel“ fand im Zusammenhang mit einem Konzert am Reformationstag, dem 31. Oktober 1999 , statt. Das Instrument wurde von dem namhaften Orgelvirtuosen und Gebr.-Busch-Preisträger Ludger Lohmann gespielt, umrahmt von Beiträgen der Kantorei Siegen unter Leitung von Ute Debus.