Geschichte des Stiftes
(c) Dr. Erwin Isenberg, März 2001-03
Mit Macht, aber nicht unerwartet, stellte sich mit der Wende zum 19. Jahrhundert jener historisch bedeutsame Prozess ein, den man gemeinhin als die Säkularisation bezeichnet. Von diesen politischen und vermögensrechtlichen Verwerfungen, die sich infolge der Einziehung kirchlicher Güter zu Gunsten weltlicher Zwecke ergaben, war auch das hiesige Stift Keppel betroffen, mit allen nachhaltigen Konsequenzen.
In den Koalitionskriegen der absolutistischen Mächte Preußen und Österreich gegen das revolutionäre Frankreich gelangten die Revolutionsheere zum Sieg, mit der Folge, dass das links-rheinische Deutschland 1794 von Frankreich besetzt wurde. Seit 1795 arrangierten sich die betroffenen Staaten Preußen, Bayern, Hessen-Kassel, Württemberg, Baden u.a., darunter auch Nassau, in Geheimverträgen mit dem siegreichen Frankreich. Sie traten ihre linksrheinischen Gebiete ab und verzichteten dort auf ihre Ansprüche, ließen sich jedoch rechtsrheinische Entschädigungen aus den Gebieten der geistlichen Fürsten zusichern. 1801 wurden im Frieden von Lunéville zwischen Napoleon und dem (noch bestehenden) Reich die linksrheinischen Eroberungen sanktioniert. Die eigentliche Säkularisation geschah dann durch den Reichsdeputationshauptschluss (RDH) zu Regensburg vom 25. Februar 1803 mit der reichs-rechtlichen Ermächtigung zur Annexion der geistlichen Fürstentümer als Entschädigung für die linksrheinischen Verluste.
Seit Jahrzehnten war die Vereinigung von geistlicher und weltlicher Gewalt zum Problem geworden, nicht zuletzt auch innerhalb der geistlichen Fürstentümer selbst. Die Zeit der Aufklärung empfand diese Einheit als mittelalterlichen Anachronismus. Wiederholt waren politische Säkularisationspläne erwogen worden, und von dem Moment an, als große politische Verschiebungen auf Kosten von irgend jemand geschehen mussten, waren die geistlichen Fürstentümer die naturgegebenen Opfer. Im Rahmen der Gütersäkularisation wurde auch das Vermögen der Bistümer, der Domkapitel, der kirchlichen Kollegien, der Universitäten, Klöster und Stifte eingezogen und dem jeweiligen Landesherrn zur Disposition überlassen. Das galt nun auch für Keppel. Die gänzliche Einziehung des Stiftungsvermögens, bisherige Grundlage der komfortablen Präbendierung der Chanoinessen, traf das Stift nicht wie der unerwartete Blitz aus heiterem Himmel. Die Auflösung des Damenkonvents hatte sich schon seit Jahrzehnten abgezeichnet.
Schon 1773 hatte man dem Prinzen von Oranien, Wilhelm V., nahegelegt, die Verfassung des Stifts im Sinne einer nützlicheren Verwendung zu ändern. Hierzu wurde vom Dillenburger Regierungsrat J. Friedr. Eberhard eine viele Seiten umfassende Denkschrift vorgelegt, die sich schon im Titel durch eine nicht minder umfängliche Beschreibung ihrer Intention empfahl: Urkundliche und rechtliche Ausführungen, inwiefern ein Evangelischer Landesherr über das Stift Keppel disponieren und deßen Einkünfte zu einem anderen gottseligen und gemeinnützigen Gebrauche verwenden, oder sonst eine neue, der Kirche und dem Staate dienliche Einrichtung daselbst machen könne, nebst Erwägung, ob eine solche Veränderung nach den Umständen rathsam und sie am schicklichsten ins Werke zu richten sey.
Hiernach schien es am zweckmäßigsten zu sein, das Stift aufzuheben. Da nun auch die Familien des siegerländer Landadels gänzlich ausgestorben waren und die ausscheidenden Stiftsdamen meist aus landfremden Geschlechtern ergänzt werden mussten, bestand ohnehin kein sonderliches Interesse mehr für den Nassauischen Landesherrn, ein solches Institut zu erhalten. Die Aufnahme adliger und bürgerlicher Witwen und Töchter verdienter Beamten wurde erwogen, der Plan, wie ehedem eine Frauenzimmerschule einzurichten, kam erneut ins Gespräch. Schließlich einigte man sich darauf, dem Fürsten vorzuschlagen, den Konvent durch stillschweigendes Nichtbesetzen der Präbenden allmählich aufzulösen. Die Stiftsdamen, so galt die Empfehlung, seien durch Zulagen und Gnadenbezeugungen in Ruhe zu halten und durch aushäusigen Urlaub, der beliebig lang zu gewähren sei, dem Stift zu entfremden.
Der Prinz folgte jedoch 1774 keinem der Vorschläge, mochte vielmehr eine gründliche Änderung auf günstigere Zeiten verschieben, wiewohl auch er von dem derzeitig für Staat und Kirche gleich unnützen Zustande der Keppelschen Stiftung sowie seiner landesherrlichen Dispositionsbefugnis überzeugt war. Zusammenstöße mit dem Kaiser oder dem Reichshofrat sollten unter allen Umständen vermieden werden, denn es lohne sich nicht, so ließ er verlautbaren, sich um eines geringfügigen Stiftes willen solche Ungelegenheiten zu bereiten. Damit war der Plan zur Säkularisation des Stifts vorerst vom Tisch.
1804, gut ein Jahr nach Verkündigung des Reichsdeputationshauptschlusses, besann sich die Nassauische Regierung wieder auf die bereits 1773 vorgelegte Denkschrift. Doch erneut lehnte der Landesherr die Empfehlung ab und erklärte: Was die von Euch angetragene allmählige Aufhebung des Stifts Keppel betrifft, so werden Wir während Unserer Lebzeiten uns nie entschließen, in der Bestimmung dieses Fonds eine Abänderung zu treffen, indem wir zur Säcularisation keineswegs geneigt sind.
Am 9. Apr. 1806 verstarb Wilhelm V. Sein Sohn und Nachfolger, Prinz Friedrich Wilhelm, regierte zunächst nur noch ein Vierteljahr bis zum 11. Juli 1806. Dann wurde er durch die Rheinbundakte abgesetzt.
Nun wurde das gesamte Siegerland dem von Napoleon gebildeten Großherzogtum Berg einverleibt. Regierungssitz war Düsseldorf, das Departement Sieg wurde von Dillenburg aus verwaltet. Stift Keppel gehörte zum Kanton Netphen dieses Departements.
Noch einmal wandte sich 1807 der Provinzialrat Graf von Borke, der seinerzeit dem Departement Sieg vorstand, mit dem Vorschlag an den Minister des Innern der Großherzoglichen Regierung in Düsseldorf, den Grafen von Nesselrode, das Stift endlich zu säkularisieren. Er schrieb:
Eine nähere Erwägung würde die Frage verdienen, ob es nicht besser sey, das Stift Keppel zu sekularisieren und dem dadurch entstehenden Fonds eine gemeinnützigere Bestimmung zu geben. Es ist schon unter den vorigen Regenten verschiedentlich davon die Rede gewesen, unter anderem bey Gelegenheit der Errichtung der hiesigen Civil-Dienerschafts Wittwen und Waisen-Gesellschaft. Die vorige Regierung schlug damals vor, den Keppelischen Stiftsfonds mit dieser Anstalt zu verbinden, fand aber kein Gehör, weil die vorigen Landesherren zu Sekularisationen nicht geneigt seien, vorzüglich aber darum, weil man den geistlichen Churfürsten zu keinen Beschwerden Anlaß geben wollte und Rücksichten wegen des Kaiserlichen Hofs zu beachten hatte. Indessen, da unter den jetzigen Umständen weiter keine Gründe der Politik dagegen sprechen, wäre es zu wünschen, das Stift in die von Graf Johann d. älteren mit so gutem Nutzen und Erfolg geordnete Verfassung zu setzen und demnach auch bürgerlichen Standes Personen und vorzüglich Wittwen und Töchter treuer Bedienter die Aufnahme und den Genuß der dasigen Praebenden zu ihrer Versorgung zu verstatten und nicht weniger der Bedacht zur Wiederaufrichtung der ehemaligen berühmten Frauenzimmer-Schule daselbst zu nehmen.
Auch hierauf erfolgte keine Reaktion. Im Gegenteil, das bergische Innenministerium zwang dem Konvent nach dem Ableben der bisherigen Stiftsvorsteherin (Marianne von Donop, † 1806) die Einsetzung einer weiteren Äbtissin auf. Es handelte sich um eine französische Marquise de Meslé, die in verwandtschaftlicher Beziehung zu dem Grafen von Nesselrode stand. Der Versuch einer Gegenvorstellung des Grafen von Borcke in Dillenburg wurde ungnädig aufgenommen. Auch der Großherzoglich Bergische Finanzminister Graf Beugnot zeigte auffälliges Interesse an der Verfassung des Stifts, ebenfalls mit dem Hintergedanken möglicher Versorgung nahestehender Persönlichkeiten. So schien die Bergische Regierung bis dahin eine Säkularisierung Keppels noch gar nicht vorgesehen zu haben. Noch am 11. August 1808 erteilte Graf von Nesselrode dem Provinzialrat in Dillenburg die Genehmigung von Pachtverträgen mit Rechtsgültigkeit für kommende sechs Jahre in Erwägung, daß das Stift Keppel seine zeitherige Verfassung behalten wird.
Erst in der zweiten Hälfte des Jahres 1809 trat die Domänenverwaltung des Sieg-Departements mit dem Verlangen nach genaueren Bestandsaufnahmen und Etats an die Stiftsverwaltung heran. Die mögliche Absicht, Stift Keppel in den Domänenbesitz zu überführen, zeichnete sich ab. Am 4. August 1810 ordnete der Kaiserliche Commissair und Großherzoglich Bergische Finanzminister Graf Beugnot schließlich an, die Verwaltung der Stiftseinkünfte dem Domänendirektor des Sieg-Departements Gericke in Dillenburg zu unterstellen. Die wirkliche Vereinigung der Güter und Einkünfte des Stifts Keppel wurde durch einen Erlass Beugnots vom 2. Juli 1811 verfügt, ebenso die Inventarisation sämtlicher Immobilien und Mobilien des Stifts, wonach letztere bei einer öffentlichen Versteigerung an den Meistbietenden veräußert werden sollten. Den Mitgliedern des Stiftskonvents wurden jährliche Pensionen zugesichert.
Die Durchführung erfolgte erst ein halbes Jahr später nach der endgültigen Säkularisationsverfügung. In diesem 18 Artikel umfassenden Arreté vom 11. Januar 1812 wurden nach Artikel 3 die bislang unberücksichtigt gebliebenen Schutzbestimmungen des RDH ausdrücklich hervorgehoben, wonach alle zu gottesdienstlichen Zwecken dienenden Güter von der Säkularisation ausgenommen waren.
Nach dem Ende der französischen Fremdherrschaft wurde der Prinz von Oranien am 6. November 1813 als rechtmäßiger Landesherr wieder eingesetzt. Sogleich hob er die gesamte französisch-bergische Gesetzgebung auf und setzte die vorherigen Verordnungen wieder in Kraft. Durch Allerhöchste Kabinettsordre (AKO) vom 30. Januar 1814 verfügte er zunächst die Wiederherstellung des alten Stiftsfonds dadurch, dass die unter französischer Herrschaft den Staatsdomänen einverleibten Güter und Gerechtsame des Stifts Keppel aus jenen wieder auszuscheiden und zu einem eigenen, gesondert verwalteten Fonds zu vereinigen seien. Zur Festlegung einer näheren Bestimmung des Verwendungszwecks ist es jedoch unter der Herrschaft des Oraniers nicht mehr gekommen. Denn bereits am 31. Mai 1815 trat Wilhelm-Friedrich seine nassau-oranischen Besitzungen rechts des Rheines an Preußen ab.
Unter dem König von Preußen kam es schließlich zur endgültigen Säkularisation des Stifts. In der AKO vom 28. Oktober 1819 wird deutlich, dass man in Berlin überhaupt nicht daran dachte, die frei werdenden Stiftsmittel für das Siegerland zu verwenden. Vielmehr beabsichtigte Friedrich Wilhelm III. seine Fürsorge für arme, unverehelichte Frauenzimmer aller Confessionen vom Adel und höherem Bürgerstande, besonders aus der Klasse verdienter, aber unvermögender Staatsdiener vom Civil- und Militärstande, vor allem Töchter solcher Officiere, welche in den Kriegen 1813 bis 1815 geblieben sind, auf Kosten von Keppel auf das Stift in Geseke im Kreis Lippstadt zu konzentrieren.
So teilte der Preußische König auf eine Anfrage des Ober-Präsidenten von Vincke mit:
Unbedenklich ist, daß, nach ihrem Antrage, die vorbehaltenen und abgesonderten Einnahmen des schon im Jahre 1810 unter der Bergischen Verwaltung aufgehobenen Stifts Keppel im Fürstenthum Siegen mit dem Stifte Gesecke vereinigt werden. Ich gebe Ihnen anheim, von den bis jetzt disponiblen Beiträgen derselben, diejenigen verfallenen Wohnungen des Stifts Gesecke herstellen zu lassen.
Nach dieser AKO zu urteilen, ist von den Ratgebern des Königs von Preußen die Säkularisationsfrage Keppels überhaupt nicht näher geprüft, sondern als eine vermeintlich bereits geregelte Tatsache angenommen worden. Von der nachherigen Aufhebung der französisch-bergischen Gesetze ist überhaupt nicht mehr die Rede, auch nicht von der Absicht des alten oranischen Landesherrn, die frei gewordenen Stiftsmittel im Interesse des Siegerlandes zu verwenden.