Geschichte des Stiftes
(c) Dr. Erwin Isenberg, März 2001-03
Nach einer Urkunde aus dem Jahre 1239 übereignete seinerzeit Graf Heinrich von Nassau auf Bitten seines
Lehnsmannes Friedrich vom Hain dem Kloster Keppel das Patronatsrecht über die Kirche zu Netphen.
Die erste urkundliche Erwähnung Keppels ist allerdings nicht gleichzusetzen mit dem Gründungsdatum, denn zum Zeitpunkt der Abfassung der Urkunde 1239 geht
man bereits von einer bestehenden Einrichtung aus. Ein Stiftungsbrief ist nicht überliefert, schon zu Beginn des 18. Jahrhunderts fehlte er im Stiftsarchiv bzw. nassauischen
Archiv in Dillenburg.
Dennoch gibt es in Bezug auf die Gründungsdatierung einen interessanten Ansatz, den KRINGS 1987 in seiner Dissertation über das Prämonstratenserstift Arnstein entwickelt hat. Danach weiß er bereits vor 1239 - also vor der bislang ersten urkundlich datierten Erwähnung Keppels - eine Meisterin im hiesigen Prämonstratenser-Frauenkloster zu benennen. Er bezieht sich darauf, dass eine im Arnsteiner Nekrolog für den 13. Juni kommemorierte Kunigunde als erste Meisterin im Kloster Keppel aufgeführt ist.
Hierzu muss man wissen, dass die Memorien im Kapitelbuch des Hauptklosters zentral erfasst waren. Man gedachte also auch in Arnstein der verstorbenen Brüder und Schwestern in den Filialklöstern. Für jeden Tag des Jahres ist im Nekrolog eine Spalte vorgesehen, in der die am betreffenden Tage verstorbenen Mitglieder der Klostergemeinschaft eingetragen sind. Es versteht sich von selbst, dass die Namen der Ordensleute in der fortlaufenden Folge ihres Ablebens untereinander geschrieben worden sind. Jahreszahlen fehlen, so dass nur die relative Folge zu ersehen ist. Schichtungen ergeben sich in Bezug auf die unterschiedlichen Schriften und Formulierungen der eintragenden Mönche, die im Laufe der Zeit wechselten. Die Eintragung des Namens der Keppeler Meisterin (Kunigundis magistre in Keppele) folgt im Anschluss an die erste und wohl älteste Schicht der Aufzeichnungen. Da das Arnsteiner Kapitelbuch 1226 / 27 angelegt wurde, kann ihr Name nicht vor 1228 zum Eintrag hinzugefügt worden sein. Andererseits folgt auf diese Nennung eine Memorie für den Rommersdorfer Abt Bruno von Braunsberg, von dem bekannt ist, dass er 1236 gestorben ist. Der Tod Kunigundes ist daher für die Zeit zwischen 1228 und 1236 anzusetzen.
Die älteste Schicht der Memorien erscheint in einer Anordnung, die dem Rang der gedachten Personen folgt. So stehen die Mitglieder der gräflichen Stifterfamilie Arnsteins obenan, die Geistlichen folgen im Gefälle ihres Weiheranges, hintan die Laien. Diese Auflistungsstruktur setzt bei der Abfassung 1226 / 27 ein bereits vorhandenes, älteres Necrologium voraus. Die Namensnennungen, bei ihrer ersten Aufzeichnung naturgemäß in chronologischer Sterbefolge aufgeführt, konnten ja erst nachträglich nach hierarchischen Gesichtspunkten neu geordnet worden sein. In der Vorlage, die der ältesten Schicht zu Grunde gelegen hat, war offensichtlich noch keine Memorie für Keppel verzeichnet. Demnach hat Kunigunde keine Vorgängerin gehabt und dürfte somit als allererste Magistra dem Gründungskonvent vorgestanden haben. Das bedeutet mit großer Wahrscheinlichkeit, dass die Keppeler Klosterstiftung in den ersten Jahrzehnten des 13. Jahrhunderts ihren Anfang nahm.
Die Gründung auf einen noch früheren Zeitraum zu datieren, sie bereits im vorausgehenden 12. Jahrhundert anzunehmen, dürfte hingegen zweifelhaft sein. Es gibt dahinlautende Aussagen, wie etwa in den Biographien über das Arnsteiner Stifterpaar und den Gründerabt Godefrid, die uns aus dem 17. Jahrhundert überliefert sind. Der unbekannte Autor stützt sich dabei auf den lateinischen Text der Gesta Ludewici, den er freizügig paraphrasiert. Bei der Aufarbeitung scheint es dem Verfasser ein Anliegen gewesen zu sein, den Ruhm des Stifters dadurch noch zu mehren, indem er Graf Ludwig III. von Arnstein (*1109, +1185) schon zu seinen Lebzeiten neben Kloster Arnstein auch die Stiftung des Klosters Keppel und Brunnenburg, darüber hinaus die der Klausen von Diez, Nassau, Ems und Winden zuschreibt. Er erfindet als weiteres Arnsteiner Tochterkloster noch eine völlig unbekannte Abtei Hurtzelbrunn hinzu. Die Quelle erscheint wenig vertrauenswürdig.
Charles Louis HUGO, Verfasser der Prämonstratenser-Annalen im 18. Jahrhundert, zitiert nicht nur dieses merkwürdige Hurtzelbrunn, auch die Gründung des Klosters Keppel datiert er auf das 12. Jahrhundert, gar auf die Zeit um 1137.
Es ist nicht bekannt, ob er hierzu durch die oben genannten Schriften verleitet worden ist, möglicherweise hat er auch das hiesige Keppel mit Cappel an der Lippe, ebenfalls ein Prämontratenserinnenkloster, verwechselt. In der lateinischen Form werden beide als Capella bezeichnet.
Für jenes Frauenkloster Cappel gilt als Gründungszeit in der Tat die erste Hälfte des 12. Jahrhunderts.
Sehr wahrscheinlich bestand zur Zeit der Klostergründung eine Kapelle schon am Ort, deren Vorhandensein Anlass gab, das neue Kloster als das zu »Keppel« zu bezeichnen. Es ist anzunehmen, dass der Stifter des hiesigen Klosters dem Abt von Arnstein die geistliche Aufsicht nicht angetragen hätte, wenn nicht schon zur Gründungszeit bauliche Voraussetzungen vorhanden gewesen wären.
HARTNACK deutete im I. Band seiner 1963 erschienenen Stiftschronik die Namengebung des Klosters nach einer benachbarten Kapelle.
Er folgt damit im Wesentlichen den Andeutungen in der sog. Brüsseler Chronik, die von dem »Adelichen Stifft Keppel sambt denen darbey interessirten freyadelichen einheimischen Familien« handelt. Sie ist 1720 - 25 von Philip Ludolf Wilhelm von der HEES verfasst worden und war als Anhang zu der »Nassauischen Chronica« von TEXTOR gedacht. Der Chronist bezeichnet sich selbst als einen »der edlen Wahrheit zugethanen teutschen Historiophilum«, gleichwohl er seiner Herkunft nach der Ritterschaft angehörte und ganz offenkundig für den stiftsinteressierten Landadel Partei nahm.
In der Chronik heißt es: »Der Nahm bedeutet so viel als Capella, Kapelle, weilen jenseits der Allenbach, der jezigen Keppelischen Stiffts Kirche fast gegenüber schon von uralten Zeiten eine berühmbte Wallfahrts Capell Zum Hl. Creuz genant gestanden, und dieße vielleicht denen Christliche Capelle in dortiger landesgegend gewesen seyn mag; worvon der ort, beständig und vornehmlich Capella oder in Capellis, und verkürzt Keppel genant worden. Umb welche Zeit aber und wie lang diße Capell - worvon die Rudera annoch vorhanden - noch vor anbowung der Kirch, Closters od. Stifts gestanden, darüber hat man keine zuverlässige Information haben können.«
Urkundlich wird die »Capella sanctae crucis« erstmalig 1385 erwähnt, und in einem weiteren Schriftstück aus dem Jahre 1558, im Zusammenhang mit dem von der Stiftsäbtissin Anna von Schnellenberg angelegten Güterverzeichnis, ist von einem »felt bey der Capellen zum Hl. Creutz vor Keppel gelegen« zu erfahren.
Es gibt allerdings kein zwingendes Indiz dafür, jene Kreuzkapelle als Vorläufer und namenbildende Orientierung für das spätere Kloster Keppel anzunehmen. Schon v. d. HEES lässt 1720 die Klärung der Frage angesichts des Mangels an »zuverlässigen Informationen« offen. Die Ahnungen, dass es sich um eine »von uralten Zeiten berühmbte Wallfahrts-Capell« handele, rühren vielleicht nicht zuletzt von dem zu seiner Zeit schon legendenträchtig verwaisten Zustand des ruinösen Gemäuers her. Eine auch nur mündliche, aber noch bewusste Überlieferung der genauen Hintergründe und geistlichen Zuständigkeiten gab es in nachreformierter Zeit offensichtlich schon nicht mehr.
Wenn es denn nun aber, und davon kann man für eine bestimmte Zeitspanne ausgehen, gleich zwei Sakralbauten in unmittelbarer Nachbarschaft gegeben hat, so mögen sie in Funktionsteilung verschiedenen Bedürfnissen gedient haben: auf der einen Seite die Kreuzkapelle als Gebetsstätte für die wallfahrende Öffentlichkeit, auf der gegenüberliegenden Seite die Stiftskirche mit ihrer davon gesonderten, klösterlichen Exklusivität.
Ein anderer Chronist aus dem 18. Jahrhundert, Jacob Friedrich EBERHARD, Verfasser der Dillenburger Denkschrift von 1773, die »nützlichere Verwendung des freyweltlichen Damenstifts Keppel« betreffend, bietet folgende Version: »Der eigentliche Stifter von Keppel ist also der Fridericus miles vor dem Jahr 1239. Eine Capelle war darin bei den Alten von einer Kirche unterschieden, dass jene blos zum privat- und außerordentlichen Gottesdienste, diese aber darzu gewönlich feyerlich, und öffentlich dienete, [...] sie allem Anschein derer von Hane zur Privatandacht, oder zum Oratorio, weil es sehr gewönlich war dergleichen Capellen, zumal bei Entlegenheit der Stätte und Hauptkirche, auf dem Lande zu erbauen, und sie sonderlich auf Gräber und Reliquien der Heiligen zu setzen.«
Die Verwendung der Bezeichnung Kapelle meint in ihrer ursprünglichen Bedeutung also nicht nur das kleinräumige Gotteshaus - sicherlich war es in den meisten Fällen das auch -, vielmehr kennzeichnet der Begriff im baulich eigenständigen Fall den Status der Kirche. Danach ist die »Capella« ein Kirchbau ohne Bepfarrungsanspruch, da er auf private Initiative errichtet worden ist. Viele Kapellenbauten sind später zu Pfarrkirchen erhoben worden, haben den Anlass zu Anbauten bzw. Überbauungen größerer Kirche geboten. Dass ebenso Eigenkirchen mit jenem Kapellenstatus den Ansatz zu späteren Klostergründungen lieferten, ist mehrfach belegt. Der Prämonstratenserorden, etwa im Vergleich zu den Zisterziensern, zeigt sich in der Regel weniger streng einer schematischen Klosterarchitektur verpflichtet. Bei den prämonstratensischen Niederlassungen ist immer wieder die Bereitschaft zu sehen, sich den gegebenen topographischen Bedingungen und den baulichen Vorgaben des gestifteten Anwesens anzupassen. Auch das Hauptkloster in Arnstein wurde seinerzeit aus den vorhandenen Anlagen einer Burg entwickelt.
SCHOLL macht in seiner 1971 erschienenen Übersicht »Von Burgen und Schlössern des Siegerlandes« in einer kurzen Mitteilung auf Bodenfunde aufmerksam, die er bei Gelegenheit von Baumaßnahmen Mitte der 60er Jahre im Umkreis der Stiftsgebäude bergen konnte. Auf der Grundlage dieser Funde ist er zur Ansicht gelangt, dass Keppel auf Resten einer Wehranlage in der Art einer Wasserburg stehe, die im Kampf der Grafen von Nassau um die Territorialhoheit zugleich mit ihrem Vorstoß in das Ferndorftal um 1220 zerstört worden sei. Genauere Fundberichte und Beweisstücke hat SCHOLL, der mittlerweile verstorben ist, leider nicht hinterlassen, so dass sich seine These nicht mehr überprüfen lässt. Jedoch ist es nicht völlig abwegig, sich vorzustellen, dass Friedrich vom Hain hier im mittleren Ferndorftal zu Besitz gekommen ist und seine »Herrlichkeit« von einem befestigten, vielleicht in Gräften eingefassten Herrensitz wahrgenommen hat. Die besondere Qualität des Anwesens - aus welchen Vorereignissen auch immer den Rittern vom Hain zugekommen -, ausgestattet mit einer Eigenkirche, könnte die Voraussetzungen für die spätere Überlassung für ein Kloster geboten haben.
Nach dieser Vorstellung müsste die namengebende Kapelle, im wesentlichen identisch mit der heutigen Stiftskirche, also älter als das Kloster gewesen sein.
Die Überlieferung aus der Anfangszeit Keppels ist spärlich. Wir erkennen aber, dass Friedrich vom Hain, der das Frauenkloster auf freiem Eigengut gestiftet hatte, auch darüber hinaus bestrebt war, seine Stiftung genügend auszustatten. Hierüber gibt die Urkunde von 1239, in der er den Grafen von Nassau darum bittet, die von ihm lehnsrührige Pfarrkirche von Netphen den Schwestern von Keppel schenken zu dürfen, hinreichend Auskunft. Wie es 1257 in den Literae Confirmationis, dem späten Bestätigungsschreiben des für Keppel zuständigen Dompropstes von Mainz zur Patronatsübertragung heißt, geschah dies, »damit eine geziemende Pfründe dem an jener Stelle eingesetzten Vikar zuerkannt werde und das Übrige von den Einkünften erwähntes Stift genieße, auf dass die hieraufhin etwas gemehrten Einkünfte ihrer Kirche sie dem Herrn unserem Gotte könnte ergebener und eifriger dienen«. Die Güterausstattung muss insgesamt aber unzureichend gewesen sein, denn in derselben Urkunde bezeichnet der Dompropst Keppel als »paupercula ecclesia«, also als arme Kirche.
Vier Jahre später traf das damals nur wenige Jahrzehnte junge Stift ein schweres Unglück. So entstand 1260, laut Lesart der Brüsseler Chronik, »eine unglückliche Feuersbrunst, wodurch das Closter sambt all dessen Gebäuwen eingeäschert und in große Armuth gesetzt worden«. Da Meisterin und Konvent 1266 beim Erzbischof Klage führen gegen Heinrich von Herleshausen, Rapad von Guntersberg sowie andere Kleriker und Laien »wegen Beeinträchtigungen an Land, Besitzungen und Zehnten, Beschädigungen durch Raub, Brandstiftungen und andere Dinge«, mag man vielleicht in ihnen die Verursacher der Zerstörung des Klosters sehen.
»12 Jahr nach erlittenem Brandschaden«, so kommentiert der Stiftschronist einen Brief des Arnsteiner Abtes Hermann I. aus dem Jahr 1272, »hat sich das Closter durch Gottes Segen gewährte Hilfe und gleich im ersten Jahr bereits just nach der Brandlegung erfolgte Stiftungen und Donationen in solchem Stand befunden, dass nöthig befunden, die Anzahl der darin präbendierten Conventualinnen auf 24 einzuschränken«. 1294 wurde die Zahl der Schwestern durch die Äbte von Floreffe und Heylissem als Visitatoren des Klosters nochmals auf 20 herabgesetzt, offenkundig deshalb, weil die Stiftung immer noch über zu geringe Einkünfte verfügte.
Am 21. Juni 1275 konnte die Kirche erneut eingeweiht werden. Die Klostergebäude waren zu dieser Zeit allerdings noch nicht alle wiederhergestellt. Die »Dedication des Closters, der Kirche und darin bestandenen zweyen Altären« erfolgte »sub patrocinio Beatae Mariae virginis et S. Johannis-Evangelistae«.
Bischof Johann von Litauen gewährte aus diesem Anlass allen, die »fürderhin das Nonnenkloster in Keppel der Andacht halber besuchen werden und zur Herstellung der Gebäude und anderer Notwendigkeiten aus ihren von Gott gegebenen Möglichkeiten hilfreich zur Hand gehen, vierzig Tage Nachlass von der ihnen auferlegten Buße, im Namen des barmherzigen Gottes«. Überdies verband er mit »einem jeglichen der beiden Altäre in der Apsis jenes Klosters« vierzig Tage Sündenablass.
Die Familien des Landadels, anfänglich auch Bürgerliche, mussten bei der Einweisung ihrer Töchter ins Kloster eine Aussteuer aufbringen. 1285 werden zum Einstand 18 Mark verlangt. Außer den Einstandsschenkungen sind es vor allem Zahlungen für Memorienleistungen, sog. Seelgeräte, die das Stiftungskapital leidlich vermehrten.
In der Mitte des 14. Jahrhunderts erlitt Keppel erneut einen Niedergang, diesmal wohl infolge schlechter Verwaltung, möglicherweise auch auf Grund mangelnder Disziplin. So ist zu erfahren, dass am 12. März 1363 der Arnsteiner Abt Wilhelm von Staffel den Kanoniker Gottschalk beauftragte, für die Erneuerung des Klosters Geld zu sammeln. Jener sei, so berichtet der Abt, nach Keppel gekommen und habe feststellen müssen, dass das Kloster schon seit längerem verlassen und baufällig sei und Mangel an Nahrungsmitteln leide. Der Abt sicherte daraufhin allen, die durch ihre Gaben das Kloster unterstützen, die seinem Orden verliehenen Ablässe und dessen Bruderschaft zu.
Die unzureichende Unterstützung des Klosters durch die Bevölkerung des Landes hatte nicht allein ihren Grund in dem geringen Wohlstand der einheimischen Bauern. Das Bemühen der Ritterschaft, die Aufnahmebestimmungen standesgemäß einzuengen, schloss die Töchter der Bauern und Bürger schon frühzeitig aus dem Konvent praktisch aus. In der am 17. Januar 1392 beschlossenen neuen Klosterordnung wurde die längst in diesem Sinne gehandhabte Praxis verfassungsmäßig gestützt, indem dort ausdrücklich festgeschrieben steht: »so ensullen odir enwullen wir kein kind emphan odir probende gegebenz ensii da van riiterz art geborn«.
Die Bestimmungen, die unter Billigung und Beratung mit dem Grafen Johann von Nassau und Abt Arnold II. von Crummenau (1380 - 97) zustande kamen, verlieren bezeichnenderweise kein Wort über klösterliche Zucht, sondern sind ganz nach dem Gesichtspunkt der Förderlichkeit für das wirtschaftliche Wohl des Klosters ausgerichtet. Hinter allem stand natürlich auch der Eigennutz des Adels, der sich die exklusive Versorgung seiner Töchter zu sichern suchte. Aber auch hier wurden Beschränkungen auferlegt. Bei dem insgesamt auf 24 Präbendenstellen festgesetzten Konvent durften aus einer Adelsfamilie jeweils nicht mehr als zwei Schwestern gleichzeitig ins Kloster aufgenommen werden. Neben der zu entrichtenden Aufnahmegebühr von nunmehr 50 Goldgulden war der ganze Konvent nebst den Geistlichen mit Wein, Weizenbrot und Hühnern zu versorgen. Außerdem hatte jedes eintretende Fräulein 24 Ellen Leinen, 20 Ellen Tischtücher und 16 Ellen Handtücher als Aussteuer einzubringen. Dem Prior und der Meisterin musste zudem noch ein besonderes Geschenk gemacht werden. Für die Kirche waren eine Kerze und 3 Pfund Wachs zu spenden.
Unter den Wohltätern Keppels, die zur nachhaltigen Begüterung des Klosters beitrugen, ist auch das hochherrschaftliche Haus Nassau zu nennen. Zu den frühesten dokumentierten Stiftungen zählt die Übereignung einer Mühle bei Heylichinbach [= Hilchenbach] durch Gräfin Agnes von Nassau im Jahre 1292. Später wurde immer wieder auf diese Schenkung aus nassauischem Besitz hingewiesen und damit die Bedeutung Nassaus als Mitstifter des Klosters Keppel herausgestellt, vor allem wenn es darum ging, das dominium utile über das Stift zu begründen. Bei allem bleibt unzweifelhaft, dass die Gründung Keppels auf Initiative der Ritter vom Hain erfolgte. Allein sie waren es, die zu Beginn des 13. Jahrhunderts ihr Anwesen als Stiftung für die Einrichtung eines Nonnenklosters eingebracht hatten.
Etwa hundert Jahre später, exakt 1325, bezeugt eine Urkunde allerdings den Verzicht der Witwe Friedrichs vom Hain und ihres Schwagers Gottfried vom Hain auf alle ihre Ansprüche an Kloster Keppel. In dieser Urkunde wird als erster unter den Zeugen Graf Heinrich von Nassau angeführt. Das gibt noch keinen Anlass, allein schon daraus Patronatsrechte für den Grafen über das Stift abzuleiten. Aber im 14. Jahrhundert geht schließlich ganz offensichtlich die Entwicklung in diese Richtung. Die Beziehungen zu Keppel gestalten sich immer enger. Am Ende des Jahrhunderts heißt es schließlich in einer Klosterordnung für Keppel, die auf das Jahr 1392 datiert ist, dass dies alles geschehen sei »myt wissen und gehengnisse des edlen unsez lieven gnedigen heren greven Johans und der edeln unser lieven gnedigen frauwen Margarete von der Marke, dy schirmer und stifter unsez vurgenannten cloisters«. Diese Betitelung drückt die offensichtlich vollzogene Anerkennung seiner Schirmherrschaft aus, ohne dass sie de jure, nach heutigen Kenntnissen der Urkundenlage, verbrieft war. Jahrhunderte später, noch bis ins 18. Jahrhundert, wurde die Rechtmäßigkeit des uneingeschränkten nassauischen Patronats vom stiftsinteressierten Landadel immer wieder in Frage gestellt.
Wenn es anfänglich nur Rechte waren, die aus einer Gewohnheit im Stiftskonvent Anerkennung fanden, so hat mit Sicherheit der Eintritt der Mutter von Johann I. ins Kloster Keppel, wodurch Nassau ganz unmittelbare Präsenz im Kapitel erhielt, den entscheidenden Nachdruck gegeben.
Die Mutter von Graf Johann I., eine geborene Gräfin Adelheid von Vianden, war als Witwe 25 Jahre nach dem Tode ihres Mannes in das Kloster Keppel eingetreten und alsbald auch Vorsteherin des Konvents geworden.
Um 1376wählte Abt Heinrich von Arnstein für sie die Anrede »lebe frawe meystersin« und gab dem Prior und den übrigen Mitgliedern des Konvents zu bedeuten, dass er die von ihr erbetene Präbende Kraft seines Amtes zu Recht gewährt habe. Die Notwendigkeit der nachdrücklichen Feststellung und urkundlichen Bekräftigung seitens des Abtes wird möglicherweise den Grund darin gehabt haben, dass die Aufnahme der nassauischen Gräfin in das Kloster und ihre umgehende Einsetzung als Meisterin zunächst nicht ohne weiteres vom Keppeler Konvent akzeptiert worden war, dürften doch jene ritterbürtigen Töchter das Stift immer noch in erster Linie als Versorgungsoption des Landadels, so ja auch die Gründer der Ritterschaft angehörten, betrachtet haben. So hat auch später immer ein Ritterschaftsrat neben dem Landesherrn Einfluss auf die Präbendenvergabe ausgeübt.
Immerhin hatte Gräfin Adelheid, schon bevor sie den Schleier einer Klosterfrau anlegte, mit der Zuweisung einer Rente aus einem Hof in Sexhelden bei Dillenburg im Jahre 1371 dem Stift ihre Gunst erwiesen.
Letztmalig wird Adelheid in einer Urkunde vom 19. Juni 1381 namentlich genannt. Hierin bestätigt Abt Arnold von Arnstein, dass die Gräfin dem Kloster Anniversarien mit den jedes Mal zu gewährenden Leistungen aus erblichen Renten gestiftet habe. Sie waren an 14 bestimmten Tagen eines jeden Jahres zu halten, so am 1. Fastensonntag, Palmsonntag, Gründonnerstag, Karsamstag, 1. Sonntag nach Ostern, am 25. April (St. Markus), Christi Himmelfahrt, Dreifaltigkeit, Fronleichnam, am Festtag Johannes des Täufers, an Maria Geburt, Allerseelen, Maria Empfängnis und am Dreikönigstag. Aus der mitgestifteten Geld- und Kornrente sollten Prior und Konvent hierzu »schonebroyt und win« erhalten. Vielleicht war es ihr letztes Vermächtnis, das sie im Angesicht des bevorstehenden Todes testamentarisch hinterließ. Man weiß nicht genau, wann sie gestorben ist. Nach dem Arnsteiner Nekrolog erhielt sie eine Memorie jeweils am 29. Oktober. Weitere urkundliche Verhandlungen mit dem Kloster Keppel (1382, 1385 und 1386) führen in der Anrede den Titel einer Meisterin nicht auf und beschränken sich auf die allgemeine Ansprache der »erberen geystlichen junfrauwen, dem covente zu Keppele«. Erst wieder 1390 wird eine Gertrud von Heyger als »meystersche zu dyser tziit« mit Namen benannt.
Mit Sicherheit, allein qua Amt einer »magistra« des Klosters Keppel hierzu privilegiert, wird Gräfin Adelheid von Nassau Ende des 14. Jahrhunderts in der Stiftskirche beigesetzt worden sein und damit auch die spätere Grablege ihres Sohnes Johann I. an gleichem Ort begründet haben. Diese folgte sicherlich nicht nur im Sinne einer allgemein üblichen familiären Bestattungskontinuität. Mutter und Sohn hatten schon zu Lebzeiten eine besondere Nähe zueinander gepflegt. Immerhin hatte Gräfin Adelheid nach dem frühen Tod ihres Mannes lange Jahre ihrem anfangs noch unmündigen Sohn in kluger Weitsichtigkeit für das Wohl des Hauses Nassau die Regentschaft geführt. Auch die Schirmherrschaft über das Kloster Keppel dürfte von Mutter und Sohn gleichermaßen in dieser erprobten, wie immer auch taktisch agierenden Verbindung angebahnt und fundiert worden sein.
In der vielhundertjährigen Zeitspanne der Existenz der Stiftskirche wurde sie nicht nur für gottesdienstliche Zwecke genutzt, auch als Grablege hat sie ein lange Tradition.
Ob bereits die Stifter ihre letzte Ruhe in Keppel gefunden haben, ist nicht bekannt, gleichwohl aber wahrscheinlich. 18 heute noch erhaltene Grabplatten bzw. Epitaphien im Chorbereich bezeugen den hiesigen Brauch der Kirchenbestattung bis zurück ins 15. Jahrhundert.
Darüber hinaus geben Urkunden und alte Chroniken weitere Auskünfte. Über die Jahrhunderte des Bestehens als Kloster bzw. nachreformatorisch als freiweltliches Stift, schließlich bis zum Jahr 1770, als im Fürstentum Siegen Bestattungen im Kirchenraum untersagt wurden, sind nachweislich weit über 120 Geistliche und fidelis laici in der Stiftskirche begraben worden. Angesichts der Nachweislücken für die Zeit des Mittelalters werden es wahrscheinlich noch viel mehr gewesen sein.
Über die bereits erwähnte Bestattung der Gräfin Adelhaid hinaus fällt im Spätmittelalter weiterer Glanz prominenter Totenruhe auf das ansonsten nicht sonderlich bedeutungsvolle Stift. Ohne dass hierzu Epitaphien Zeugnisse geben, wissen wir für die Zeit der letzten Jahrzehnte des 14. und die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts, dass das hochherrschaftliche Haus Nassau zeitweilig Keppel als Grablege erwählt hatte.
Dies lässt sich aus einer Urkunde aus dem Jahr 1438 erschließen, in der es heißt: »Diese Gift han wir gethan zuvor Gode zu eren vnd durch Heil vnser Sele dem Closter zu Troiste, angesehin Gnade vnd Gunst, die wir zu dem Cloister han, vnd das wir in unserm Hertzen gantze Liebe darzu han, das es vnvergenclich werde, nach denn als vnser Elderen selbigen, den God Gnade, da begraben vnd wir auch hoffen zu thun, wan der almechtige God über vns gebudet, vnd vmb diese Gyft verwarnt, sie also vnsterblich vnd ewiclich by dem Cloister, wie vorgescreben ist zu bliben vnd gehalten werde [...].«
Die Einstandsschenkung erfolgte in Verbindung mit der Aufnahme einer nassauischen Komtesse in das Kloster Keppel. Jene Jungfer Adelheid war die Tochter von Johann II., der auch den Beinamen »Hubener« oder »Häubener« führte. Er war nicht vermählt, wovon ihn möglicherweise seine unstete, kriegerische Natur abgehalten haben mag. Dennoch war er Vater mehrerer Kinder. Bekanntermaßen hatte er mit einer Mätresse besagte Komtesse gezeugt, die 1438 ins Kloster Keppel getan wurde. Durch die damit verbundene Schenkung kam das Kloster in den nicht unbedeutenden Besitz der Höfe Schweißfurt und Stöcken im mittleren Ferndorftal.
Mitunterzeichner der Urkunde ist auch ein Bruder von Johann II. Es handelt sich um Graf Engelbert I. (†1442), der sich mit Johanna, einer reichen Erbin von Polanen und Leck, verehelicht hatte.
Ob nun die Pluralform, in der die Schenkung ausgesprochen wird, auch einschließt, dass gleich beide Brüder tatsächlich vier bzw. fünf Jahre nach dieser Übereignung ihre Grabesruh in Keppel gefunden haben, wie sie es zu diesem Zeitpunkt zu tun hofften (»nach denn als vnser Elderen selbigen ... da begraben vnd wir auch hoffen zu thun...«), ist nicht überliefert. Ganz offensichtlich aber kann man der Urkunde entnehmen, dass ihre Eltern, Johann I., Graf v. Nassau u. Dillenburg (†1416), und seine Ehefrau Margarethe, eine geborene Gräfin von der Mark († vor 1409), zu diesem Zeitpunkt bereits in der Stiftskirche beigesetzt worden waren.
Bei den persönlichen Verbindungen Keppels zu den Grafen von Nassau verwundert es, dass sich das Kloster 1436 erneut in einem Zustand wirtschaftlichen Niedergangs befand. Seine Gebäude waren baufällig, und es mangelte ihm an Einkünften zum Unterhalt des Konvents. Zwei Keppeler Schwestern, Margarete Kolbe von Wilnsdorf und Irmgard von Selbach-Lohe, erhielten daher am 15. März desselben Jahres auf besondere Anweisung des Johannes Thomas von Krefeld, Propst an der Apostelkirche in Köln, die Erlaubnis, bis zum Jakobstag (1. Mai) in den Pfarreien und Kirchen der Kölner Diözese für ihr Kloster eine Kollekte durchführen zu dürfen.
Die Klosterzucht scheint damals, vielleicht gerade wegen der ärmlichen Verhältnisse, vorbildlich gewesen sein, denn die oben zitierten Schwestern wurden ein Jahrzehnt später zur Reform anderer Klöster ausgewählt. Margarete Kolbe von Wilnsdorf kam nach Gommersheim, einem weiteren Filialkloster des Arnsteiner Verbands. Schon 1448 konnte sie dann zusammen mit Schwestern aus Gommersheim das bis auf eine Schwester ausgestorbene Kloster Beselich neu besetzen. Dort wurde sie auch bald Meisterin. In ihrer Memorie im Beselicher Nekrolog wurde sie als »Reformatorin des Ordenslebens in Beselich und Gommersheim« bezeichnet. Die andere Keppeler Schwester, Irmgard von Selbach-Lohe, wurde nach 1445 als Meisterin zur Reform des Benediktinerinnenklosters Schönau im Taunus berufen.
Zu Beginn der sechziger Jahre hatten sich die Verhältnisse in Keppel jedoch selbst verschlechtert. Nunmehr erkannte man auch hier die Reformbedüftigkeit, wozu der Arnsteiner Abt Meffried Graf Johann IV. von Nassau-Dillenburg um Unterstützung bat. Dieser gab seine Zustimmung, machte aber zugleich deutlich, dass jeder Eingriff in die Angelegenheiten des Klosters Sache des Abts sei.
Es ist nicht bekannt, wie erfolgreich die notwendig befundenen Veränderungen tatsächlich umgesetzt werden konnten. Jedenfalls hatten die Reformbemühungen des Arnsteiner Abtes die Schwestern in Keppel verstimmt. Gegen Ende des 14. Jahrhunderts und in den ersten nachfolgenden Jahrzehnten waren nacheinander wenigstens drei Arnsteiner Kanoniker Pfarrer der Keppel inkorporierten Pfarrei Hilchenbach gewesen. Als der Abt versuchte, an diese Tradition anzuknüpfen, und 1464 den Kanoniker Burckhard zum Pfarrer von Hilchenbach präsentierte, widersprachen die Schwestern von Keppel und erreichten gegen den Willen des Abtes Meffried die Einsetzung eines Priesters ihrer Wahl.
Auch bei der personellen Besetzung des Stifts selbst vermochte Arnstein keine Neuordnung durchzusetzen. Jedenfalls wurde die bereits seit 1450 dem Keppeler Konvent vorstehende Meisterin, Else Kolbe von Wilnsdorf, in ihrem Amt, das sie schließlich noch über 30 weitere Jahre innehatte, belassen. Nach dem Tod des Abts, 1475, nahm sie an einem Gastmahl Johann V. in Siegen teil, d.h. sie entfernte sich vom Kloster. Der religiös keineswegs gleichgültige Graf dürfte diese Einladung in Ansehung der prominenten Position der Meisterin als selbstverständlich erachtet haben. Wahrscheinlich hatte die freie Lebensweise der Klosterfräulein seinerzeit durchaus nichts Anstößiges. Erst seit 1480 scheint Arnstein wieder einigen Einfluss gewonnen zu haben. Zu dieser Zeit sind nochmals Prioren, die auch in wirtschaftlichen Angelegenheiten des Klosters tätig sind, für Keppel bezeugt.
Aber die Missstände hörten nicht auf, wie ein Visitationsrelikt des Abtes Adam vom 17. Juni 1492 offenbart. Dieser musste schließlich erkennen, dass seine Autorität nicht ausreichte, die adligen Fräulein von ihrer gewohnten Lebensweise abzubringen. Die Wiederherstellung der Ordenszucht konnte nur mit Hilfe des Erzbischofs von Mainz und des Landesherrn durchgesetzt werden. Zur wirtschaftlichen Absicherung der Reform billigte 1494 der Mainzer Erzbischof Berthold von Henneberg einen Vertrag zwischen Keppel und Graf Johann V. von Nassau-Dillenburg folgenden Inhalts: Gegen den Verzicht Keppels auf das Patronat der Pfarrkirchen von Netphen und Hilchenbach überträgt der Graf dem Kloster die Einkünfte des Augustinusaltares in der Keppeler Klosterkirche und der ruinösen Johanniskirche bei Siegen. Die Erträge des Altars und der Kirche sollten zum Unterhalt des Priors und der Schwestern beitragen, der Augustinusaltar fortan einem Arnsteiner Prämonstratenser zustehen, der in Keppel seinen Dienst als Prior zu versehen hatte.
Doch es traten immer wieder Querelen auf, bishin zu abgrundtiefen Zerwürfnissen zwischen Meisterin und Konvent. Die Arnsteiner Visitatoren fühlten sich immer weniger im Stande, den Zwist vor Ort beizulegen und sahen sich genötigt, den Landesherrn einzuschalten. Dessen Einfluss wurde immer stärker, im gleichen Maße wie die Aufsicht Arnstein zunehmend entglitt. So setzte Wilhelm I., Graf von Nassau-Dillenburg, der sich seit 1530 immer entschiedener der Reformation zuwandte, schließlich die Nürnbergische Ordnung gegen die prämonstratensische Regel. Laut Anordnung vom 21. Juni 1538 sollten Messe und Chorgebet in Keppel in deutscher Sprache gehalten werden. Bis zum Jahre 1547, festgeschrieben durch die vom Landesherrn erlassene »Ordenung zu Keppel«, hatte sich das ehemalige Kloster in ein freiweltliches Stift evangelischer Prägung gewandelt.